Über die Dringlichkeit des Projekts „Schule der Erinnerung – Wissensproduktion zum Völkermord an den Roma und wie gegen Antiziganismus kämpfen?“
In den letzten Jahren hat die Regierung Serbiens die große Bedeutung der Aufarbeitung der systematischen Ermordung der Juden zur Zeit der Besatzung durch die Nationalsozialisten erkannt und im Jahre 2012 veranstaltete sie die erste temporäre Ausstellung über den Holocaust in Serbien 1941-1944. Die Geschichte der Ermordung der Roma in Serbien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs dagegen ist weiterhin nicht genügend erforscht und kaum bekannt. Neben dem Fehlen einer Kultur der Erinnerung an diese Ereignisse haben die weitgehende Vernachlässigung in der historischen Forschung und die fehlende Thematisierung des Völkermords an den Roma in den Lehrplänen der Schulbildung dazu geführt, dass diese Ereignisse in der Öffentlichkeit fast vollständig in Vergessenheit geraten sind.
Die wenigen systematischen wissenschaftlichen Forschungen über die Opfer und Täter des Völkermords an den Roma, die in den letzten drei Jahrzehnten in Serbien veröffentlicht worden sind, beziehen sich auf den Völkermord an den Serben und Roma im Lager Jasenovac in Kroatien. Heute stehen wir so vor dem Problem, dass, selbst wenn ein Interesse an Information und Bildung über Verfolgung und Leid der Roma in Serbien bestehen sollte, zu wenig Material dafür zur Verfügung steht. Eine der Ursachen für den Mangel an Information zur Verfolgung der Roma ist allerdings auch darin zu suchen, dass in Serbien Vorurteile und Rassismen den Roma gegenüber zum Alltag gehören.
Unsere Aktivitäten möchten dazu beitragen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig es ist, die historischen Tatsachen aufzuarbeiten, auch im Hinblick auf die Kontinuität der Diskriminierung der Roma, die unter entsprechenden Umständen zu einem erneuten Völkermord führen könnte. In weiten Teilen Europas ist die Gemeinschaft der Roma auch ein gutes halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Ziel von Antiziganismus, Delegitimierung, Menschenrechtsverletzungen und systematischer Diskriminierung. Beispielsweise sind gewaltsame Deportationen von „geduldeten“ Roma aus Deutschland nach Serbien und in das Kosovo seit Inkrafttreten des Rücknahmeabkommens an der Tagesordnung. Gegen diese Praktiken gibt es jedoch auch Widerstand – genannt sei zum Beispiel die Initiative „alle bleiben“, die sich gegen Abschiebungen und für die Rechte von Roma einsetzt.
Aus den dargelegten Gründen ist das zweijährige Projekt „Schule der Erinnerung“ so konzipiert, dass es auf mehreren Ebenen Informationen sammelt und Wissen produziert. Während ein Schwerpunkt auf der historischen Forschung zum Völkermord an den Roma, seinen Ursachen und Mechanismen liegt, beschäftigt sich ein anderer Teil des Projekts mit Antiziganismus und systematischer Diskriminierung der Roma heute und fragt, wie wir dagegen vorgehen können.
Das Projekt „Schule der Erinnerung“ wird von drei Organisationen aus Serbien und Deutschland getragen, dem Women’s Space aus Niš, dem Forum für Angewandte Geschichte aus Belgrad und dem Roma Center Göttingen e.V. Es wird ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung Southeast Europe und der International Holocaust Remembrance Alliance – IHRA.