Starosajmiste.info - Geschichte und Gegenwart der "Alten Messe"  

Die multimediale Karte auf der Webseite starosajmiste.info ist eine Momentaufnahme der Geschichte und der Gegenwart von Staro Sajmište, dem alten Messegelände von Belgrad, in dessen Pavillons die Gestapo 1941 ein Konzentrationslager einrichtete. Entstanden nach dem Besuch des Geländes mit einer Gruppe von jungen Menschen aus Serbien und Deutschland im Sommer 2010, ist sie das Ergebnis einer Vielzahl von Gesprächen mit Menschen, die auf unterschiedliche Weise mit dem Ort und seiner Geschichte verbunden sind.

Die auf der Karte dargestellten Örtlichkeiten auf dem ehemaligen Messegelände haben wir als Einstiegspunkte gewählt, um die Besucherinnen und Besucher in eine Topographie persönlicher Geschichten über Staro Sajmište zu führen. Eine zweite Ebene der Karte deutet die Kämpfe um die Erinnerung an das ehemalige Konzentrationslager an und bringt verschiedene Positionen in der Diskussionen um die Zukunft des Geländes zur Sprache.

Es fallen zunächst diejenigen Orte und Objekte ins Auge, auf die auch wir bei unserem Besuch zuerst stießen oder über die uns die Gesprächspartner am meisten zu berichten hatten. So ist eine Karte entstanden, auf der sich mehrere subjektive Perspektiven übereinander schieben, aber auch Lücken bleiben. Neben Erinnerungen ehemaliger Häftlinge an die Zeit im Lager stehen Gespräche über die Gegenwart und Zukunft des Ortes und thematisieren das heutige Verhältnis der Gesellschaft zu den Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Kollaborateure.

Die Karte erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist deshalb um so mehr als Anregung zu verstehen, das hinzuzufügen, was hier nicht zu sehen, zu hören oder zu lesen ist. Zur weiteren Recherche dienen die Materialien, die im Infobereich der Webseite zu finden sind und fortwährend ergänzt werden können, darunter Dokumente und weiterführende Literatur über das KZ Sajmište und allgemein zu Faschismus sowie Links und Adressen einschlägiger Institutionen.

 

Staro Sajmište und die Erinnerung an die faschistischen Verbrechen

 

Die Frage, wie mit der Geschichte der Belgrader „Alten Messe“ („Staro Sajmište“) umgegangen werden sollte, ist über die Jahrzehnte hinweg immer wieder aufgeworfen worden. Doch war es lange nur eine unscheinbare Tafel, die an die Opfer der faschistischen Verbrechen an diesem Ort erinnerte. Das ehemalige deutsche Konzentrationslager Sajmište war als „Judenlager Semlin” einer der ersten Orte im besetzten Territorium, an dem die jüdische Bevölkerung Anfang 1942 mit dem Gaswagen systematisch vernichtet wurde. Später diente es im System der nazistischen KZs als zentrales Durchgangslager für Häftlinge, die aus Südosteuropa in die Arbeits- und Vernichtungslager nach Norden deportiert wurden.

In den Achtzigern zumindest auf dem Papier unter Denkmalschutz gestellt, wurde „Staro Sajmište“ und sein Erbe während der Jugoslawienkriege der Neunziger wieder aktuell. Die Erinnerung an die Inhaftierungen und Massenmorde der kroatischen Faschisten an serbischen Zivilisten im Unabhängigen Staat Kroatien, von denen einige tausend auch ins deutsche Lager Sajmište überstellt wurden, wurde in den Vordergrund gerückt. In diese Zeit fällt die Errichtung eines Denkmals in der Nähe des ehemaligen Lagergeländes. Die Tage des Geländes selbst, auf dem nach dem Krieg Notwohnungen und Künstlerateliers eingerichtet wurden, die bis heute in Benutzung sind, scheinen gezählt. Im Zentrum Belgrads gelegen, gehört es zu den letzten Filetstückchen städtischen Grundes, die noch nicht an Investoren verkauft sind. Während der Allgemeinheit weiterhin die Vergangenheit des Ortes verborgen bleibt, wird hinter den Kulissen nach einer Lösung gesucht, die die kommerzielle Nutzung des Geländes und die Erinnerung an das KZ verbinden kann.

2010 besuchte eine Gruppe junger Leute aus Serbien und Deutschland die „Alte Messe“, um die Geschichte des Ortes und die Diskussion um seine Zukunft in Interviews zu recherchieren und zu dokumentieren. Die Rosa Luxemburg Stiftung unterstützte die Initiative, die Ergebnisse der Recherche im Internet zu veröffentlichen und damit der breiten Öffentlichkeit einen Zugang zur Geschichte des Geländes zu verschaffen. Im Frühling 2011 ging die serbisch- deutsch- und englischsprachige Webseite starosajmiste.info online. Eine interaktive Karte führt die Besucherinnen und Besucher in eine Topographie persönlicher Geschichten über Staro Sajmište; eine zweite Ebene deutet die Kämpfe um die Erinnerung an das Lager an und zeigt verschiedene Positionen in der Diskussionen um die Zukunft des Geländes. Zur weiteren Recherche bietet ein Infobereich Dokumente, weiterführende Links und Literatur über das KZ Sajmište, Besatzung, Kooperation, Widerstand und allgemein zu Faschismus.

Die Vorstellung der Webseite, auf der auch die laufenden Aktivitäten des Projekts „Besuch auf Staro Sajmište - Kriterien und Maßstäbe der Erinnerung“ angekündigt und dokumentiert werden, war der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, die seit 2011 mit Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung vom Kulturzentrum Rex/Fond b92 durchgeführt werden. Die Seminare zum Thema Faschismus, Widerstand und Kollaboration („Kontexte. Wie entsteht Faschismus?“, „Fakten. Widerstand und Kollaboration - nach 70 Jahren“ , „Interpretation. Die Deutung historischer Tatsachen über Kriegsverbrechen, Holocaust und Völkermord“) stellen das Konzentrationslager in den historischen Kontext und begegnen dem allgegenwärtigen Geschichtsrevisionismus, der den Hintergrund für die seit 2004 gesetzlich ermöglichte Rehabilitation von an den faschistischen Verbrechen beteiligten Kollaborateuren bildet.

Ortsbegehungen und Führungen an Orte, die historisch mit dem Lager Sajmište in Verbindung stehen, sprechen ein breites Publikum an. Hervorgehoben sei die Ortsbegehung des Lagers „Topovske šupe“, in dem 1941 fast die gesamte männliche jüdische und Roma Bevölkerung Belgrads interniert wurde, bevor die Männer in den Racheaktionen der Wehrmacht erschossen wurden. Auch für den Erschiessungsplatz bei Jabuka und das Lager Sajmište wurden Führungen erarbeitet; weitere begeben sich auf die Spuren des Widerstands und suchen Orte der Sabotage wie der Solidarität mit den Verfolgten auf, Orte der Organisation des Widerstands, aber auch der Folter und Hinrichtung der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer. Die Arbeitsgruppe, die die Führungen vorbereitet, lädt dabei je nach Thema Sprecher und Sprecherinnen ein, die ihr Wissen oder persönliche Erfahrung mit einbringen und einen Teil der Führung übernehmen.

Es geht um die Erarbeitung einer Erinnerungspraxis, die politisch zur Gegenwart Bezug nimmt und zur Selbstaneignung von Geschichte anleitet. Die Analyse der historischen Bedingungen von Faschismus und Kollaboration soll den Blick für Elemente der faschistischen Ideologie in der gegenwärtigen Gesellschaft schärfen, die in ausbeuterischen, rassistischen, nationalistischen und anderen chauvinistischen und diskriminierenden Verhältnissen zum Ausdruck kommen. Zu einer Zeit, in der neo-faschistische Gruppen in Serbien unbehelligt erstarken, ist es besonders wichtig, der Relativierung der Verbrechen der Faschisten und ihrer Kollaborateure mit Aufklärung entgegenzutreten. In diesem Jahr wird die Webseite um einen Blog erweitert, auf dem verschiedene Autoren Texte veröffentlichen und aktuelles Geschehen und Debatten um die Erinnerung an die faschistischen Verbrechen kommentieren. In Vorbereitung ist ein Buch, das, ausgehend von der Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers Sajmište, eine umfassende Einführung in die Zeit der deutschen Besatzung in Belgrad gibt.

Text: Rena Rädle