Auslassungen und Kontinuitäten nach 1945

Zum Umgang mit den Verbrechen der Nationalsozialisten in Österreich und Deutschland


Filmvorführung und Vorträge
5./6. Oktober 2012
Kulturzentrum Rex
Beograd


Auch viele Jahrzehnte nach den Ereignissen ist das öffentliche Erinnern an Kriegsverbrechen und Völkermord bleibt ein kontroverses Feld. Offizielle Erklärungsmodelle, Erinnerungskultur und Entschädingungspolitik werden geprägt von der jeweils herrschenden Politik und ihren Strukturen, aber auch dominanten moralischen und ethischen Werten in der Gesellschaft. Das bedeutet, dass die gegenwärtige Verfasstheit einer Gesellschaft auf die Interpretation ihrer Vergangenheit zurückwirkt und damit auch die Erinnerungspolitik wesentlich bestimmt.

Die Vorträge von Kathrin Herold und Walter Manoschek beleuchten Auslassungen, Tabus und Widersprüche in den Erinnerungspolitiken (West-)Deutschlands und Österreichs, deren Geschichtskonstruktionen unterschiedlicher nicht sein könnten. Während vom deutschen Staat die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis schwerlich abgelehnt werden konnte, sah sich Österreich als erstes Opfer Hitlerdeutschlands. Die Waldheimdebatte, die Wehrmachtsausstellung und die Bürgerrechtsbewegung der Roma und Sinti haben gerne gehegte Geschichtsbilder von der „sauberen Wehrmacht“, der Entnazifizierung, der Entschädigung der Opfer und der Bestrafung der Täter ins Wanken gebracht.

Der Film Das Falsche Wort beweist anhand von unveröffentlichten Dokumenten die Vorenthaltung von Entschädigungszahlen für die als „Zigeuner“ verfolgten Roma und Sinti in Deutschland. Der strukturell verankerte Antiziganismus stellt eine von zahlreichen Kontinuitäten nach 1945 dar und hat die Anerkennung des Völkermords and den Roma und Sinti lange herausgezögert. Bis zum heutigen Tag verhindert der Antiziganismus der europäischen Gesellschaften das Ende der Vertreibungen und Diskriminierung der Überlebenden Roma und Sinti und ihrer Nachkommen.


 

Programm

Freitag, 5.10. 19h, Filmvorführung

Das Falsche Wort
Wiedergutmachung an Zigeunern (Sinte) in Deutschland?

Ein Film von Katrin Seybold und Melanie Spitta, 1987, 85 min

Der Dokumentarfilm „Das Falsche Wort – Wiedergutmachung an Zigeunern (Sinte) in Deutschland?“ zeigt zum ersten Mal die Verfolgung der deutschen Roma und Sinti zur Zeit des Nationalsozialismus aus der Sicht der Verfolgten. Aufgenommen haben ihn Melanie Spitta, Tochter von Überlebenden und die Filmemacherin Katrin Seybold, in einer Zeit, als Vertreter der Sinti und Roma in Deutschland gerade begannen, die verspätete oder verweigerte Wiedergutmachung an den Überlebenden und den groben Umgang der bundesdeutschen Behörden mit den Antragstellern öffentlich zu kritisieren. Der Film aus dem Jahr 1987 bringt bis dahin unbekannte Dokumente ans Licht, darunter Polizeiakten und Fotografien der Nazis, die medizinische Experimente an den im KZ inhaftierten Kindern, Frauen und Männern durchführten.
Warum hielten die bundesdeutschen Behörden diese Dokumente zurück? Überlebende und ihre Kinder berichten über den oft vergeblichen Kampf um Entschädigung und Anerkennung der rassistisch motivierten Verfolgung und Ermordung und die über kontinuierliche Diskriminierung der Roma und Sinti durch die deutschen Behörden.

Katrin Seybold wäre gerne in Belgrad gewesen um ihren Film selbst vorzustellen. Leider ist sie unerwartet am 27. Juni in diesem Sommer verstorben. Wir trauern um eine aussergewöhnlich engagierte Filmemacherin, deren wichtige künstlerische Arbeit wir mit der Vorführung ihres Filmes im Rahmen unserer Veranstaltung würdigen wollen.


Samstag, 6.10., 17-20h, Vorträge und Diskussion


17.00 -18.15
Kathrin Herold:
Roma und Sinti als Opfer von Völkermord: Erinnerungspolitik in (West)deutschland seit 1945



18.30 – 20.00
Walter Manoschek:
Erinnerungspolitik an den Nationalsozialismus in Österreich. Vom Opfer zum Mittäter


Kathrin Herold hat in Bremen und Madrid Kulturwissenschaften, Soziologie und Romanistik studiert und ist freiberuflich in der politisch-historischen Bildung und als wissenschaftliche Autorin tätig.
Sie arbeitet an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hamburg) sowie am Denkort Bunker Valentin und ist Teil des Netzwerks „alle bleiben“ http://www.alle-bleiben.info, ein Zusammenschluss von Gruppen die gegen Abschiebungen von Roma ins ehemalige Jugoslawien kämpfen. Sie bietet Workshops zum Thema Antiziganismus an um eine Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Formen von Ausgrenzung und Rassismus gegen Roma anzuregen.

Einschlägige Veröffentlichungen:
End, Herold, Robel (Hg): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments. Münster, 2009.; Zusammen mit Yvonne Robel: Zwischen Boxring und Stolperstein – Johann Trollmann in der gegenwärtigen Erinnerung. In: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 13, Bremen, Edition Temmen, 2012; Roma as Victims of Genocide. Politics of Remembrance in (West) Germany since 1945. In: The Holocaust in History and Memory, vol. 3/ 2010, S. 61-77, übersetzt ins serbische unter dem Titel: Romi kao žrtve genocida: Politika secanja u (Zapadnoj) Nemackoj od 1945

 

Walter Manoschek ist ao. Univ. Prof. für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Filmemacher. Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus, Holocaust, Vergangenheitspolitik. Er war Mitgestalter der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ die zwischen 1995 und 1999 in mehr als 30 deutschen und österreichischen Städten gezeigt wurde.

Einschlägige Veröffentlichungen:
Serbien ist judenfrei!“ Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, München 1995; Gescheiterte Flucht. Der jüdische „Kladovo-Transport“ auf dem Weg nach Palästina, (gem. mit Gabriele Anderl), Wien 2001; Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945, Wien 2009. Sein Dokumentarfilm Dann bin ich ja ein Mörder wird im Herbst 2012 bei der Viennale uraufgeführt.

Dieses Programm wurde unterstützt von der Rosa Luxemburg Stiftung

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